Matthias Jung


 

FeedWind

Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

»Ich glaube an Gott und so weiter...«

Predigt am Reformationstag 2011, inspiriert durch Gedanken von Ina Praetorius

 

 

Liebe Gemeinde,

Ina Praetorius, eine aus Deutschland stammende und heute in der Schweiz lebende Theologin, hat in diesem Frühjahr dieses Buch hier, »Ich glaube an Gott und so weiter... – Eine Auslegung des Glaubensbekenntnisses« veröffentlicht. Sehr spannend, sehr anregend wie ich finde, sind die Gedanken, die Ina Praetorius hier ausbreitet und mit denen sie uns einlädt, uns mit diesem schönen, schweren, vertrauten und doch so schwer verständlichen Text auseinanderzusetzen. Ein paar ihrer Anregungen möchte ich in dieser Predigt nennen und meine eigenen Gedanken dazu äußern, Sie also teilhaben lassen an diesem meinem Dialog mit diesem Buch in der Hoffnung, dass es zugleich zu einem Zwiegespräch zwischen Ihnen und mir (und natürlich Ina Praetorius) heute Abend hier kommt. Dabei geht es mir eigentlich weniger um den Inhalt des Textes oder einiger seiner Zeilen, sondern um das »Drumherum«.

Dabei möchten wir es so machen: meine Frau wird die Zitate aus dem Buch von Ina Praetorius lesen, ich meine Gedanken dazu. So wollen wir versuchen, meinen Dialog mit Ina Praetorius auch äußerlich sichtbar zu machen und Sie einladen, sich auf dieses Zwiegespräch einzulassen.

Drei Gedanken möchte ich, wir heute Abend mit Ihnen bedenken, der erste lautet:

Wir sind hineingeboren in uns Vorgegebenes

»Wann ich das Apostolische Glaubensbekenntnis zum ersten Mal gehört habe, weiß ich nicht mehr. Als mir auffiel, dass ich vieles von dem, was da steht, nicht verstand oder nicht mochte, kannte ich es jedenfalls schon fast auswendig. Es war ein Gefühl, als hätte ich etwas vergessen, das mir nicht schmeckte. Die alten fremdartigen Worte lagen mir schwer im Magen. Ausspucken konnte ich sie aber nicht mehr, dafür war es zu spät. Und irgendwie fand ich die Wörter, bei aller Fremdheit, doch auch würdig. Meine Tante jedenfalls sah immer ernsthaft und konzentriert aus, wenn sie das Glaubensbekenntnis im Gottesdienst mitsprach. (23) Meine Tante war eine fromme Frau. Geboren noch im vorletzten Jahrhundert, hat sie einen Krieg, die spanische Grippe, die Wirtschaftskrise, Inflation und Währungsreform, noch einen Krieg, das Wirtschaftswunder und vieles mehr überlebt, bevor sie mir das Wort ›Gott‹ schenkte. Meine Tante wohnte nebenan, ganz nah an meiner Kindheit. Sie war nicht weit gereist, leistete wenig Widerstand, ging manchmal in die Kirche. Sie lachte viel und hörte gern zu. So viel ich weiß, machte sie niemandem Angst.« (11)

Von wem habe ich das Glaubensbekenntnis gelernt, wer hat mich mit dem Wort »Gott« vertraut gemacht, es mir geschenkt? Ich weiß es nicht mehr. Wahrscheinlich war es meine Mutter, obwohl meine Eltern nun wahrlich keine Kirchgänger waren. An Weihnachten ging man in die Kirche, ich wurde zum Kindergottesdienst geschickt, wo mir der streng wirkende Pfarrer Respekt einflößte. Ich bin trotzdem da ganz gerne hingegangen, weil es da immer so schöne Blättchen gab, mit Rätseln und Geschichten. An die biblischen Geschichten erinnere mich nicht, sehe mich aber noch in dem riesigen Dom in Wetzlar in der ersten Bankreihe mit anderen Kindern sitzen und dem Pfarrer lauschen. Auch der Konfirmandenunterricht rauschte eher an mir vorbei, ich empfand ihn als eine Art, heute würde ich sagen, »intellektuelle Herausforderung«. Geglaubt habe ich da noch nichts, aber ich muss mich doch wohl sehr beteiligt haben, denn der Pfarrer meinte einmal zu mir, ich könne ja mal später Theologie studieren. Da habe ich nur gelacht und den Kopf geschüttelt. Ich Pfarrer? Ne!

Und wie war es bei Ihnen? Woran erinnern Sie sich, wenn Sie daran zurückdenken, wer hat Ihnen das Wort »Gott« geschenkt? Wo und vom wem haben Sie das Glaubensbekenntnis kennengelernt? Welchen Eindruck haben einzelne biblische Geschichten oder ein Kirchraum in Ihrer Kindheit bei Ihnen hinterlassen? Glaube, liebe Gemeinde, fällt nicht einfach vom Himmel. Jede und jeder von uns wird hineingeboren in eine Zeit, in eine Familie, in einen Ort, in eine religiöse Tradition – und das wirkt oft weit und lang bis in die Gegenwart. Und das finde ich sehr schön bei Ina Praetorius, dass sie nicht bei den schweren Worten beginnt, sondern zunächst fragt, wo komme ich denn her, wer hat mich denn geprägt, wer hat mir meinen Glauben geschenkt? Denke ich darüber nach, werde ich vielleicht dankbar, wenn ich merke, ach, da waren so einige Menschen, denen ich Geschichten und Gefühle verdanke, die mich bis heute geprägt haben. Vielleicht werde ich aber auch zornig, weil ich sehe, da war aus heutiger Sicht so viel Druck, so viel Zwang, so viel Angst... Aber wie dem auch sei – kein Glaube fällt vom Himmel, wir werden hineingeboren und wachsen auf in einer ganz bestimmten Familie, Region, Nation, Religion. Und es ist gut, sich das bewußt zu machen, es bewahrt vor Überheblichkeit und Arroganz und erleichtert das Gespräch mit anderen: Wie war es denn bei dir?

Der zweite Gedanke lautet:

Von der Herkunft des Bekenntnisses

Die Frage nach der Herkunft, nach dem Umfeld, nach der Zeit stellt Ina Praetorius nicht nur dem eigenen Glauben, sondern auch dem Text des Glaubensbekenntnisses selber. Auch er ist ja nicht vom Himmel gefallen. Dazu hat sie sich aufgemacht in die Bibliotheken, die versuchen, Vergangenes zu bewahren, aufzubewahren für uns. Und ein dickes Buch über das Glaubensbekenntnis, das vor ein paar Jahren erschienen ist, klärt sie darüber auf, dass man nichts genaues weiß über die Entstehung dieses Bekenntnisses. Dazu schreibt sie:

»Warum freut es mich, dass so wenig über den Ursprung des apostolischen Glaubensbekenntnisses bekannt ist? – Weil diese Unsicherheit mich von dem unangenehmen Gefühl entlastet, das ich als Kind und Jugendliche empfand, wenn ich im Gottesdienst das Glaubensbekenntnis mitsprechen sollte. Das finde ich befreiend. Zwar scheint es mit durchaus angemessen, mit alten Worten, die vielen meiner Vorfahrinnen und Vorfahren wichtig waren, grundsätzlich respektvoll, vielleicht sogar ehrfürchtig umzugehen. Aber überirdischen Ursprungs sind diese Wörter nicht, weshalb übertriebene Scheu nicht nötig ist. Gewöhnliche Menschen, Frauen und Männer, von denen wir nur wenig wissen, haben sie aufgeschrieben, wohl um zum Ausdruck zu bringen, warum sie nicht einfach in ihrer römisch geprägten Umgebung aufgehen, sondern anders, christlich sein wollten. Die Anfänge der Kirchengeschichte sind vielfältig, ausgefranst, weitverzweigt, kein Block, der blockiert.« (27)

Die Worte des Bekenntnisses sind nicht vom Himmel gefallen. Auch wenn wir vieles nicht mehr aufklären können – erkennbar wird doch, irgendwelche ganz konkreten Menschen haben in ihrer Zeit versucht, Antworten zu formulieren. Antworten auf Fragen, die ihnen gestellt wurden oder die sie sich selbst gestellt haben. Ein Bekenntnis ist nichts anderes wie der – oft stotternde, vorsichtige, zweifelnde und doch aus Erfahrungen gespeiste – Versuch in Worte zu fassen, was ich glaube. Daher kommt es nicht darauf an, das Glaubensbekenntnis einfach auswendig zu lernen und Wort für Wort für wahr zu halten – und dabei müssten wir auch noch mal erst klären, was denn eigentlich Wahrheit ist im Glauben, wenn Glauben doch immer nur ein Geschenk ist, unverfügbar, nicht produzierbar, nur erfahrbar. Aber wie auch immer, der Sinn des Bekenntnisses ist immer, zu antworten auf Fragen:

»Nein, man kann flegelhaften Konfirmandinnen doch unmöglich auf alle ihre frechen Fragen immer nur die eine Antwort geben: ›Das ist wissenschaftlich umstritten.‹ Es braucht doch Halt und Geborgenheit für die jungen Leute von heute, die nicht mehr wissen, was Recht und Anstand ist! Ja,es braucht standfeste Verankerung in dieser Welt, wenn eine etwas Nützliches ausrichten und dabei ihr Leben genießen will. Aber Halt und Sicherheit lassen sich auch gewinnen im Gespräch mit Tanten und afrikanischen Freundinnen, mit kritischen Töchtern und ohne dass eine genau weiß, was oben und unten ist. Der SINN des Lebens ist keine Wortkonserve, die irgendwo in einem Speicher lagert, verpackt in staubige Pappschachteln. Die Wahrheit ist frisches Gemüse, das auf gut gepflegter, mit Kompost sorgsam angereicherter Erde jedes Jahr neu wächst und aus dem wir nahrhafte und schmackhafte Mahlzeiten kochen, die niemandem schwer im Magen liegen. Mahlzeiten nach Rezepten, die schon unsere Tanten und Großväter benutzt haben, um uns zu nähren und zu erfreuen, als wir noch klein waren.«

Ist das nicht wunderschön anschaulich formuliert, die Wahrheit ist frisches Gemüse, dass auf dem Kompost wächst, Halt und Sicherheit mögen durchaus die alten Texte unserer Vorfahrinnen und Vorfahren geben, aber auch die Gespräche mit Freundinnen und Freunden? Nun, dieses »Gespräch« mit Ina Praetorius bringt mir eine Menge, und wenn ich zB an den CEBIE-Gottesdienst vor ein paar Wochen denke, in dem wir vom Leben und Glauben von Menschen im Kongo hören, dann trägt dies auch zum Verständnis meines Glaubens bei, und sei es, weil Erfahrungen anderer mir Vertrautes in Frage stellen. Und wenn drüben im Rönskenhof zur Zeit die Plakate der Konfirmandinnen und Konfirmanden hängen mit ihren Antworten auf die Frage, was denn für sie zu einem glücklichen Leben gehört und dann dick und breit auf einem Plakat »Sex« steht – dann kommen ältere Gemeindeglieder lächelnd auf mich zu und sagen: »Also, das hätten wir uns mal wagen sollen vor fünfzig Jahren im Konfirmandenunterricht, das Wort Sex in den Mund zu nehmen«. Und plötzlich findet ein Gespräch zwischen Alt und Jung statt und wir sehen, wie sich Dinge verändern. Und vielleicht schütteln wir dann nicht mehr missbilligend den Kopf, wenn, wie vor einiger Zeit geschehen, ein Jugendlicher kein Geld in den Klingelbeutel hineingeben wollte, sondern ganz ehrlich der Meinung war, er dürfe sich statt dessen auch etwas herausnehmen. Wer weiß, wofür er es braucht, in welcher finanziellen Not er sich gerade befindet - hat er nicht vielleicht den Gedanken des Teilens spontan völlig richtig verstanden?

Der dritte und letzte Gedanke lautet:

Glauben in eigene Worte fassen

Noch einmal Ina Praetorius:

»Der Pfarrer, der mich im Frühjahr 1970 konfirmierte, (…) sperrte GOTT in Wissen ein. Wir mussten Texte auswendig lernen, in denen ER vorkam und die mir fremd blieben. Auch Jesus Christus kam in den Antworten vor, die nicht meine waren. Der göttliche Jüngling mit den blassbraunen Locken sagten mir nichts. (…) Ich versuchte den Pfarrer mit intelligenten Fragen zu beeindrucken: Gibt es GOTT überhaupt? Warum ausgerechnet Jesus? Warum ›für meine Sünden‹? Es gelang mir nicht. Der Pfarrer fand eine andere Konfirmandin netter. Nach der Konfirmation ging ich jahrelang nur noch zum Singen in die Kirche. Wir saßen oben auf der Empore, glänzten mit Bach und Mendelsohn und bemühten und, nicht zuzuhören, wenn gepredigt wurde.« (12f.)

Liebe Gemeinde, das Schöne ist, wir dürfen es in eigenen Worten versuchen zu sagen. Wir müssen nicht glauben, für wahr halten, was andere uns vorsagen oder vorgesagt haben. Wir dürfen suchen und fragen und zweifeln und ringen, manchmal auch verzweifeln – aber dann auch wieder überraschend erleben, wie alte oder auch neue Wörter zu sprechen anfangen, mir ein Licht aufgeht. Wir dürfen nach eigenen Worten für das suchen, was wir glauben. Ohne die Angst, etwas Falsches zu sagen und sich Gottes Zorn zu zuziehen. Ohne die Angst, vom rechten Pfad abzukommen und in die Irre zu gehen. Ohne Angst, wenn wir nach Worten für »Gott« suchen, dass wir seinen Namen nicht heiligen würden. Es gibt bis heute noch so viel Angst, vom eigenen Glauben zu sprechen unter uns, Angst etwas Falsches zu sagen. Und das ist so jammerschade. Denn wir verpassen dabei die überraschenden Entdeckungen, die Begegnungen mit anderen Menschen und ihrem Glauben und ihrem Zweifel. Von Ina Praetorius kann ich lernen, auf der einen Seite respektvoll mit den Schätzen unserer Vorfahrinnen und Vorfahren umzugehen – auf der anderen auch völlig respektlos alle Fragen, die sich mir so stellen, auch zu stellen – in der Hoffnung, dass so frisches Gemüse auf dem Kompost unserer Traditionen wächst.

Und wer will, kann ja auch in der Gegenwart nach Bekenntnissen heutiger Zeitgenossen suchen und sich davon auf der Suche nach eigenen Formulierungen anregen lassen. Deswegen möchte ich nun, nachdem wir vorhin schon das Apostolische Glaubensbekenntnis miteinander gesprochen haben, nun noch gemeinsam mit Ihnen das Bekenntnis von Ruth Egloff zu sprechen, das Sie abgedruckt am Eingang erhalten haben und das ebenfalls in dem Buch von Ina Praetorius steht (174f.). Die Theologin Ruth Egloff starb mit gerade mal 29 Jahren im Jahr 1990. Vielleicht sagen Sie an der einen Stelle, ach, ja, das spricht miur aus dem Herzen und an einer anderen runzeln Sie die Stirn und fragen sich, ob man das denn wirklich so sagen kann oder muss. Aber genau da beginnt dann doch das Nachdenken, der Dialog, wenn ich überlege, warum freut mich das eine und ärgert mich das andere. Und genau so soll es dann auch sein, nicht nur bei dem modernen Bekenntnis von Ruth Egloff, sondern auch bei dem uralten und uns so vertrauten Apostolischen Glaubensbekeknntnis.

Amen.


Ich glaube an Gott, von dem wir sagen, er sei wie eine Henne, die ihre Kücken wärmt.

Ich glaube an Gott, von dem wir sagen, er sei verletzlich und weine manchmal auch mit uns Menschen.

Ich glaube an Gott, von der wir sagen, sie habe die Welt und Frauen wie Männer wunderbar und schön gemacht.

Ich glaube an den menschgewordenen Gott, von dem wir sagen, er habe mit uns gelebt und gelitten.

Ich glaube an den Menschen, nicht aber an den Mann Jesus Christus,
empfangen durch Liebe und Lust,
geboren zwischen den Schenkeln Marias,
gelitten und in Verwahrung genommen im Namen des Gesetzes und unter dem Grölen des Volkes,
geschrien in Verzweiflung,
hingerichtet,
ermordet
und eines grausamen Todes gestorben am Kreuz.

Ich glaube an die Auferstehung, wie es zuerst Maria aus Magdala und dann auch Petrus und andere bezeugt haben.

Ich glaube an die Geistkraft, die Verhöhnte stark werden lässt, den Stummen Sprache verleiht und den Kleingehaltenen Mut.

Ich glaube an die Möglichkeit von Kirche, die lebendig wird und Gemeinschaft lebt auch außerhalb von Kirchenmauern, wann immer die Geistkraft es will.

Ich glaube an die Gemeinschaft der Menschen, nicht nur der Heiligen.

Ich glaube an die Vergebung, die einen Neuanfang ermöglicht,
an die Lebendigkeit trotz Tod,
an Liebe trotz Hass,
an Lebenskräfte trotz Krankheit,

und ich glaube an das ewige Leben.

Amen.

 

---

Das Buch von Ina Praetorius »Ich glaube an Gott und so weiter...« ist im Güterlsoher Verlagshaus erschienen (19,95 €). Nachdem ich es vor einigen Monaten gelesen habe, habe ich spontan eine Rezension auf Amazon dazu geschrieben. Link zu der Kundenrezension:

Ich glaube an Gott und so weiter...

Wer mehr über Ina Praetorius erfahren möchte, der/dem empfehle ich den Besuch ihrer Website:

http://www.inapraetorius.ch/